Festschrift anlässlich des 40jährigen Bestehens
der Kriegsopfersiedlung Nürnberg-Schniegling
am 20. und 21. Juli 1974
Grußwort
Liebe Siedlerfrauen, liebe Siedlerfreunde!
Seit 40 Jahren besteht unsere Siedlung. 40 Jahre, eine lange Zeit. Lang im Leben eines Menschen, kurz im Leben einer Stadt.
Wenn wir zurückdenken, wie viele Bewohner unserer Siedlung nicht einmal die Hälfte dieser Zeit leben durften, weil sie durch Krieg, Bomben oder Unfälle hinweggerafft worden sind. Und wenn wir bedenken, wie viele Menschen im Raume unserer Siedlung das 80., sogar das 90. Lebensjahr vollenden durften, dann ergreift uns neben einer leisen Trauer auch das Gefühl einer tiefempfundenen Dankbarkeit.
Dankbarkeit unserem kleinen Lebensraum gegenüber, der uns gestattet, sich von der Tageslast zu erholen, der uns erlaubt im Garten Schöpfer von Leben im Kleinen zu sein. Der uns die Möglichkeit gibt, sich schöpferisch und gestaltend zu bewahren und uns den Stolz verleiht, Herr zu sein im eigenen Haus und Garten.
40 Jahre sind ins Leben gegangen. Jeden von uns haben sie geformt und gezeichnet. Und wenn sie hart und mühsam waren, wir möchten sie nicht missen. Ist doch unser Erscheinungsbild nur das Ergebnis der Formung durch das Schicksal und unserer täglichen, kleinen Welt.
Liebe Siedlerfrauen, liebe Siedlerfreunde, was uns das fünfte Jahrzehnt bringen wird, ich weiß es nicht. Ich aber wünsche Ihnen viel Glück und Segen für Ihre Familie, für Haus und Garten.
Und als Vorsitzender der Vorstandschaft wünsch ich mir von Ihnen Verständnis für die Arbeit, Mitarbeit bei Gemeinschaftsaufgaben und Freundschaft mit dem Nachbarn.
Ihr
Karl Hans Wittig – im Juli 1974
Rückblick
über die Entstehung der Kriegsopfersiedlung und Weiterentwicklung vom Jahre 1934-1974 Siedlervereinigung Nürnberg-Schniegling e.V.
Schon vor längerer Zeit hatte sich die „gemeinnützliche Kriegersiedlung“ (GKS) mit Sitz in Berlin damit befasst, in Nürnberg eine größere Siedlung für Kriegsbeschädigte, Frontkämpfer und Kinderreiche zu erstellen. Es wurden deshalb lange Zeit mit der Stadt Nürnberg, betreffs Freigabe von Grund und Boden, Verhandlungen geführt. Nach langen Überlegungen hat die Stadt Nürnberg beschlossen, ein umfangreiches Gelände an der Marktäckerstraße, nördlich Schniegling, westlich Wetzendorf, auch dicht an der Fürther Grenze, in Erbbaurecht für dieses Projekt abzugeben, obwohl es ihr bester Grund und Boden war, der ihr zur Verfügung stand. Die GKS mit dem Sitz in Berlin hat sich als Bauträger zur Verfügung gestellt. Im April 1934 war es dann soweit, dass mit diesem großen Projekt begonnen werden konnte. Am 14. April 1934 fand daher eine große Feier, verbunden mit einer Kundgebung, anlässlich des ersten Spatenstichs für den 1. Bauabschnitt „Kriegsopfersiedlung“ von 62 Siedlerstellen statt. Am darauffolgenden Tag wurden mit den Arbeiten sofort begonnen. Von den 62 Siedleranwärtern musste jeder mitarbeiten, oder einen Ersatzmann stellen. Die Bauarbeiten waren bereits an Unternehmer vergeben und organisiert, so dass es mit dem Aufbau sehr schnell vorwärts ging. Nach einem halben Jahr, im Oktober 1934, konnte schon für diese 62 Siedlerstellen das Richtfest gefeiert werden, so dass noch vor Weihnachten, Mitte Dezember, der größte Teil von den anerkannten Bewerbern ihr neues Heim beziehen konnte. Es war bestimmt für jeden einzelnen Bewerber damals das größte Weihnachtsgeschenk seines Lebens, dass er nicht nur ein Haus, sondern 800-900 qm bestes Gartengelände für sich in Anspruch nehmen durfte. Gleichzeitig wurden auch die Straßen berichtigt, Gartenzäune gesetzt, Hecken, Sträucher und Bäume wurden gepflanzt und somit war der 1. Bauabschnitt, die Kriegsopfersiedlung entstanden.
Es waren insgesamt 5 Bauabschnitte vorgesehen. Nach der entstandenen Kriegsopfersiedlung ist aufgrund der schönen Häuschen und Gärten, die nun sehen waren, die Bewerberzahl ins Unendliche gestiegen. Aber leider ist der weitere Fortschritt der Bautätigkeit aus finanziellen Gründen auf längere Zeit zurückgestellt worden.
Erst im Jahre 1937 konnte dann der 2. Bauabschnitt „Dankopfersiedlung“ mit 40 Siedlerstellen in Angriff genommen werden. Selbstverständlich ging auch eine Grundsteinlegung voraus. Die Häuser wurden bis Ende des Jahres 1937 fertiggestellt und bezogen.
Bei diesem Bauabschnitt brauchten die Anwärter nicht mitzuarbeiten, sondern mussten ein Eigenkapital in Höhe von 300 Mark zur Verfügung stellen. Die Siedler erhielten auch Gartengeräte, Bäume, Sträucher und Kleintiere. Der Bauabschnitt Dankopfersiedlung, der auch als „Arbeiterwohnstätten“ anerkannt wurde, war vollendet. Nun waren es bereits 102 Siedlerstellen, die in diesem ebenen, herrlichen Gelände erschlossen waren. Nun war es auch soweit, dass die Straßen gebaut und fertiggestellt werden mussten. Die Straßen wurden auf die Flurnamen der Grundstücke umbenannt und somit entstanden folgende Straßen:
Marktäckerstraße, Leitenfeldstraße, Röthenäckerstraße, Pfandäckerstraße, Raiffeisenstraße, Düppelerstraße, Zur hohen Eiche.
Im Jahre 1938 ging die Bautätigkeit weiter und der Grundstein für weitere zehn Eigenheime wurde gelegt. Die Bewerber für diese Eigenheime müssten zwar ein höheres Eigenkapital aufbringen, konnten dafür aber eine bessere Bauweise und besondere Wünsche beanspruchen. Noch im gleichen Jahr konnten diese zehn Eigenheime bezugsfertig übergeben werden und jeder Bewerber freute sich und war stolz darauf, mit seiner Familie aus dem Gewirbel der Großstadt herauszukommen und hier außen, in Gottes freier Natur zu siedeln.
Der nächste Bauabschnitt war die „Dankopfersiedlung II“, die mit 14 Siedlerstellen vorgesehen war. Aber leider kam im September 1939 der Ausbruch des Krieges dazwischen, so dass jede Bautätigkeit bis auf Weiteres zurückgestellt werden musste. Trotzdem ist es möglich geworden, dass im Jahre 1942 der Rohbau dieser Häuser hergestellt werden konnte und durch die Umstände des Krieges allerdings im Jahre 1944 erst bezugsfertig wurde.
Auch die Spuren des Krieges sind nicht schadlos über unsere Siedlung hinweggegangen, auch der Bombenkrieg ist über uns hereingebrochen. Der schwärzeste Tag unserer Siedlung, bzw. die schwärzeste Nacht, dürfte wohl die vom 25. – 26. Februar 1943 gewesen sein.
Eine englische Maschine hat genau in den Mittelpunkt unserer Siedlung eine Luftmine geworfen, vier Häuser wurden total zerstört und der größte Teil unserer Häuser schwer oder leichter beschädigt. Ein Todesopfer und einige Verletzte waren zu beklagen. Die Ruinen und die Narben an den Häusern waren lange Zeit sichtbare Zeichen des Krieges.
Als 1945 der Krieg endlich zu Ende ging, kamen wir überall, auch bei uns nicht nur schwarze Tage, sondern auch schwarze Jahre. Durch die große Wohnungsnot wurden unsere Siedlerhäuer derart überbelegt, dass manchmal 3-4 Familien die kleinen Räume sich teilen mussten, denn die Einwohnerzahl in unserer Siedlung betrug damals fast 2000 Personen. Lange Jahre hindurch war unsere Siedlung von den Amerikanern beschlagnahmt und von einem Treuhänder verwaltet. Dass es in diesen Jahren nicht aufwärts sondern abwärts ging, da nämlich die Verhältnisse immer schlechter wurden, und für die Siedlergemeinschaft nichts getan werden konnte, war selbstverständlich.
An der hinteren Raiffeisenstraße wurde auch noch Ende des Krieges und nach dem Krieg eine große Anzahl an Behelfsheimen gebaut. Diese Behelfsheime haben sich Ausgebombte und Flüchtlinge in Gemeinschaftsarbeit oder mit Hilfe ihrer Arbeitgeber selber errichtet, denn die Not war groß, jeder half sich, wie er sich ebenhelfen konnte.
Geschäfte gab es bei uns keine, und so vergingen Jahre um Jahre, bis endlich die Amerikaner unsere Siedlung Anfang 1951 wieder freigaben.
Es ging dann wieder aufwärts, weil von dort ab der Freistaat Bayern, in Verbindung mit dem Zentralfinanzamt Nürnberg die Siedlerträgerschaft übernommen hat und noch dazu eine rührige Verwaltung, von den Siedlern gewählt, die Führung in die Hände nahm.
Unter vielen kleinen Problemen waren auch große zu bewältigen, so:
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Eine Begehung und Überprüfung sämtlicher Siedlerstellen zur Vorbereitung der rückständigen Übereignung , die durch den langen Krieg verzögert wurde.
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Einen Verkehrsanschluss zu fordern, der für viele hunderte Berufstätige ein dringliches Bedürfnis war.
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Schaffung oder Neubau einer öffentlichen Gaststätte mit Saal und eines Lebensmittelgeschäftes für unsere geschäftsarme Siedlung.
Inzwischen wurde durch die Anordnung des Bayrischen Siedlerbundes, Bez. Mittelfranken, dem wir als Mitglied dieser Fachorganisation angehören mussten, unsere Siedlung, d. h. sämtliche Bauabschnitte als „Siedlervereinigung Nürnberg-Schniegling“ zusammengeschlossen.
Von unseren Problemen ist zu berichten:
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Die Begehung und Besichtigung sämtlicher Siedlerstellen durch den Siedlungsträger und den Bayrischen Siedlerbund hat zu Erfolg geführt. Allerdings, durch die viele Arbeit und Verhandlungen die hierfür angefallen sind, konnten 64 Siedlerstellen im August 1953 rechts der Leitenfeldstraße übereignet werden. Die zweite Hälfte, links der Leitenfeldstraße, war noch schwieriger. Eine Hypothekenaufteilung mit den Grundbuchämtern und zuständigen Banken hat diese Angelegenheit um einige Jahre verzögert, so dass die Übereignung für die 62 Siedlerstellen links der Leitenfeldstraße erst am 5. Oktober 1957 erfolgen konnte.
Bis zur Übereignung mussten die Lasten der Häuser in Form einer Miete an den jeweiligen Siedlungsträger abgeführt werden. Nach der Übereignung dagegen wurde jeder einzelne mit der Restfinanzierung seines Hauses hypothekarisch belastet.
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Die Forderung eines Verkehrsanschlusses bei der Stadt Nürnberg ist etwas schneller vor sich gegangen, es waren zwar viele und schwierige Verhandlungen notwendig, auch wegen Straßenverbreiterung mit den städt. Dienststellen, bis unsere Forderung anerkannt worden ist. Der erste Start des Omnibusses, Linie 78, fand am 1. November 1953, früh 5.30 Uhr, ab unserer Siedlung bis Brückenstraße statt. Der Fahrer und der Schaffner wurden von unseren Vertretern freudig begrüßt und beschenkt. Auch eine größere Menschenmenge von Berufstätigen hat diese beiden Männer umjubelt, vor Freude, dass sie diese Kilometer bis zur Fuchsstraße oder bis zum Westfriedhof nicht mehr zu Fuß zurücklegen mussten. Die Linie 78 wurde in der verkehrsdichten Zeit bald überlastet. Ein Jahr später kam dann noch in der verkehrsreichen Zeit die Linie 79 über Wetzendorf dazu, mit Endstation in unserer Siedlung, kleine weitere Verbesserungen folgten, so dass diese Verkehrsanbindung nicht mehr wegzudenken wäre.
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Die Schaffung oder der Neubau einer öffentlichen Gaststätte mit Saal, Errichtung einer Metzgerei mit Lebensmittelgeschäft. Die Geschäftsarmut unserer Siedlung hat uns dazu bewogen, uns mit diesem Problem zu beschäftigen, denn wir waren nur auf Nachbarortschaften angewiesen.
Nachdem mit vielen Brauereien viele Verhandlungen vorausgegangen waren, mit Geschäftsunternehmen, städtischen Dienststellen, Liegenschaftsamt, Bauordnungsbehörde und die Vorfinanzierung gesichert war, war es am 1. November 1952 so weit, dieses Projekt anzugreifen.